© Festa |
| Joe R. Lansdale |
Verlag: Festa 2022
Seiten: 464
ISBN: 978-3986760304
MEINE BEWERTUNG
- ★★★★★ -
Am Grund des Sees
Im zarten Alter von 13 Jahren hatte Daniel ein einschneidendes Erlebnis zu verkraften: Sein Vater hat sich selbst umgebracht und versuchte, den Sohn mit in den Tod zu ziehen. Dazu hat er das Auto direkt in den Moon Lake gelenkt, dem der Junge gerade noch entkam. Jahre später ist es an der Zeit, dem Geheimnis des Sees im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund zu gehen.
„Moon Lake“ von Joe R. Lansdale ist einer dieser Romane, die einen aufgrund ihrer Intensität in die Tiefe ziehen. Es ist eine Mischung aus Thriller, Krimi, Drama, einem Hauch Liebe und einer sommerlichen, sanften Brise von Coming-of-Age-Roman.
Ich liebe den abwechslungsreichen Stil, der dicht und einnehmend ist. Für mich zählt der Autor zu den ganz großen Erzählern und ich mag es, dass er sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Denn man muss es mögen, wenn Lansdale manches Mal mit rohem Sprachgebrauch trifft, derben Humor auffährt und texanisches Gebaren ungeschönt wieder gibt.
"Ich habe so eine gewischt gekriegt, dass ich fast meine Unterhose durch den Arsch eingesaugt hätte." (S. 189, eBook)
Es beginnt in Daniels Kindheit, als er mit den Eltern in Ost-Texas lebt. Der Autor nimmt sich Zeit, die damaligen Umstände und das Empfinden der Hauptfigur zu schildern. Er vermittelt ein Gefühl dafür, wie es für den Jungen gewesen ist. Dann geschieht das Unglaubliche: Sein Vater fährt mit ihm in den See!
Er hat es relativ gut verkraftet und kehrt als Erwachsener in seine ehemalige Heimatstadt zurück. Denn der Moon Lake ist ausgetrocknet und es ist an der Zeit, dem See ein drängendes Geheimnis zu entlocken: War die Leiche von Daniels Mutter damals im Kofferraum?
Es folgt eine interessante Mischung aus Drama, Krimi und Thriller, wobei Lansdales Southern-Gothic-Einschlag zu tragen kommt. Inmitten von texanischer Hitze, stumpfem Hillbilly-Tatendrangs und beängstigendem Rassismus setzt der Autor seine Figur auf eine Spur an, die in einem überraschenden Finale endet.
Man darf sich keinen herkömmlichen Thriller erwarten, weil Lansdales Werke viel mehr und gleichzeitig weniger sind. In „Moon Lake“ rückt er die typische texanische Kleinstadt in den Mittelpunkt. Es geht um politische Machtgerangel, bizarre Hintergründe und wie es sich für die Führungsriege ungestört nach eigenem Gutdünken schalten und walten lässt, wenn man abgeschieden vom Rest der Welt lebt.
Beleuchtet werden die Alteingesessen, wie gefährlich eine eigene beziehungsweise andere Meinung sein kann, und natürlich - trotz der negativen Aspekte - der Charme und das Wesen des Kleinstadtlebens, welcher den Roman in eine melancholische Perspektive rückt.
Obwohl mir das Buch gut gefallen hat und ich in „Moon Lake“ versunken bin, hat es der Autor meinem Gefühl nach eine Spur übertrieben. Die Hintergründe sind äußerst bizarr gestaltet und es hat manches Mal die Spannung gefehlt. Trotzdem war es für mich wieder eine Geschichte, die mich eingenommen und mit Lansdales bissigem Humor sowie seiner lockeren Düsternis nicht losgelassen hat.
"Ich sag's nur ungern, aber manchmal tut man eben Dinge, die nicht viel Sinn ergeben, oder man muss Dinge tun, die einem nicht gefallen, und das kann einem manchmal zu schaffen machen." (S. 51, eBook)
Übrigens empfand ich den Grund des Sees als sehr anschaulich beschrieben und die Idee ist auf jeden Fall großartig. Denn der Moon Lake hat nicht nur wegen des Selbstmords eine besondere Stellung im Ort und im Roman, sondern birgt eine ganze Stadt: Vor Jahrzehnten wurde der ursprüngliche Ort geflutet. Seither verbergen sich versunkene Gebäude und grausame Geschichten am Grund, die allesamt an die Oberfläche drängen. Das hat definitiv einen gruseligen Touch, wenn man an die algenüberwucherten Gemäuer denkt. Außerdem gibt es verstörende, witzige und schaurige Details, die ans Licht gekommen sind.
Für mich war es ein interessanter Coming-of-Age-Roman mit erwachsener Krimi-Note im Herzen von Texas, welcher mich durch Lansdales unvergleichlicher Erzählstimme in den Moon Lake getaucht hat.
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Huhu Nicole :D
AntwortenLöschenDas klingt echt gut, auch wenn ich anfangs beim Lesen deiner Rezension das Gefühl hatte, dass es in eine ganz andere Richtung geht als all die Bücher, die wir sonst so von ihm gelesen haben. Coming-of-Age-Sachen waren da ja auch noch nicht wirklich dabei.
Aber einen Hang zum Übertreiben hat er doch irgendwie in all seinen Werken? Er erschafft auf jeden Fall irgendwie immer was eigenes. Das mag ich auch irgendwie an ihm.
Nun habe ich aber festgestellt, dass dieses Jahr für mich kein Buch von ihm dabei war, aber mal schauen, ob es im nächsten Jahr klappt. Das hier klingt auf jeden Fall, als würde es mir auch gefallen!
Liebe Grüße
Jessi
Hallo Jessi,
Löschennein, nicht ganz. Es ist schon ein Lansdale, nur viel mehr Mischung als die anderen Bücher, finde ich. Vielleicht hat er sich auch damit übernommen und mich daher nicht vollständig überzeugt.
Auf jeden Fall! Er spitzt alles immer zu. Manchmal gelingt es ihm besser, manchmal schlechter. Ich mag ihn einfach und fühle mich in seinen Romanen wohl. Aber ich habe den Eindruck, dass er sich im deutschen Sprachraum schwer tut, weil er aufgrund seiner Genre-Mixes nicht in die Verlagsschubladen passt. Man kann nach dem Lesen gar nicht sagen, was für ein Buch das war.
Ich halte dir die Daumen, dass du nächstes Jahr mal wieder Zeit für Lansdale findest. Mittlerweile bin ich mit allen durch und warte drauf, dass wieder etwas Neues kommt.
Liebe Grüße und einen schönen 3. Advent
Nicole