Freitag, 2. Mai 2025

Rezension: Mostviertler Grafen - Helmut Scharner

Mostviertler Grafen - Helmut Scharner
© Gmeiner
Mostviertler Grafen
| Helmut Scharner |

Verlag: Gmeiner 2023
Seiten: 304 
ISBN: 978-3839203972

MEINE BEWERTUNG 
- ★★★
 - 



Mörderische Mostviertler Schmiedekunst

Im niederösterreichischen Mostviertel wird der „Schmiedepapst“ erstochen im Wasser gefunden. Der Mord führt Major Brandner zu einem Kreis aus Schmiedekurs-Teilnehmer:innen und Konkurrenten. Als der Fall komplexer wird und ein weiterer Mord geschieht, drängt die Zeit.

Mit „Mostviertler Grafen“ legt Helmut Scharner den fünften Band seiner Regionalkrimi-Reihe rund um Major Brandner vor, und bleibt sich dabei treu: Authentische Ermittlungsarbeit, viel Lokalkolorit und ein angenehm bodenständiger Erzählton prägen diesen Fall. 

Diesmal verschlägt es den Ermittler ins niederösterreichische Ybbsitz, wo beim traditionellen Schautriften im Mendlingtal ein toter Körper aus dem Wasser gezogen wird. Es handelt sich um den angesehenen „Schmiedepapst“ Gottfried Lugbauer, der mit einem geschmiedeten Nagel ermordet wurde.

Im Mittelpunkt der Reihe steht Major Brandner, der wie gewohnt zwischen seinem Wohnort Wien und dem Einsatzgebiet Niederösterreich pendelt. Die berufliche und private Zweiteilung bleibt in diesem Band angenehm im Hintergrund, was mir persönlich sehr entgegenkommt. Zwar wird sein Familienleben als Rahmen immer wieder kurz angerissen, aber es drängt sich nicht in den Vordergrund. Scharner vermeidet gekonnt das Klischee des überzeichneten Ermittlers mit dramatischem Privatleben, was mir gut gefällt.

Neu an Brandners Seite ist Annika Lindner, eine junge Kollegin, in er in die Ermittlungsarbeit einführt. Anfangs wirkt sie schroff und unnahbar. Mit der Zeit offenbart sich ihre unsichere Seite, was sie für mich umso menschlicher macht.

Besonders gefallen hat mir, dass wir Lindners Perspektive miterleben dürfen. Auf diese Weise lernen wir nicht nur sie, sondern auch Brandner durch ihre Augen kennen. Sie bringt eine moderne, feministische Note in den Krimi, ohne zur bloßen Projektionsfläche gesellschaftlich relevanter Themen zu verkommen. 

Insgesamt wirken die Figuren erfreulich realistisch auf mich. Sie sind keine Superhelden oder Genies, sondern ganz normale Menschen, die ihren Job mit Ernsthaftigkeit und einem Schuss Menschlichkeit erledigen.

Der Kriminalfall selbst ist angenehm ruhig aufgebaut. Helmut Scharner verzichtet auf künstlich aufgebauschte Spannungsspitzen oder wilde Wendungen. Er setzt stattdessen auf die solide Darstellung polizeilicher Ermittlungsarbeit. Die Ermittlungen kreisen um den Schmiedepapst und die Teilnehmer:innen des Schmiedekurses. Beschwerlich für die Polizei ist nur, dass niemand ein klares Motiv hat oder über ein Alibi verfügt.

Ich fand besonders gelungen, dass die Ermittlungen in ihrer ganzen Nüchternheit, inklusive langwieriger Observierungen und Sackgassen, gezeigt werden. Damit es nicht eintönig wird, streut der Autor kleine Alltagsszenen ein, die sowohl die Figuren menschlich machen als auch das regionale Lebensgefühl unterstreichen.

Die Kapitel sind jedenfalls angenehm kurz gehalten und jeweils mit Ort, Datum und Uhrzeit versehen. Durch Rückblenden in den Juni zum Schmiedefest „Ferraculum“ entsteht eine zweite Zeitebene, die nach und nach das Gesamtbild vervollständigt und dem Krimi zustätzlich Spannung verleiht. 

Die atmosphärische Einbettung des Krimis ins Mostviertel finde ich bemerkenswert. Die Region wird nicht nur als Kulisse genutzt, sondern als lebendiger Teil der Geschichte verwendet. In „Mostviertler Grafen“ kommt die traditionsreiche Schmiedegemeinde Ybbsitz mit Eigenheiten, seiner Geschichte und dem kulturellen Selbstverständnis ansprechend zur Geltung. Auch die Stadt Waidhofen an der Ybbs wird erneut realitätsnah eingebunden, sodass man beim Lesen das Gefühl bekommt, die Schauplätze tatsächlich zu betreten.

Da ich mit den erwähnten Orten selbst aus meinem Alltag vertraut bin, war es für mich ein besonderes Leseerlebnis. Es hat seinen eigenen Reiz, wenn man in einem Kriminalroman von Schauplätzen liest, die man aus dem echten Leben kennt. Scharner versteht es, diese Orte nicht zu verklären, dafür glaubwürdig zu schildern. Das Lokalkolorit ist dabei nicht aufgesetzt, sondern mit Handlung und Figuren auf’s Feinste verwoben.

„Mostviertler Grafen“ ist kein Krimi für Adrenalinjunkies. Genau das macht ihn für mich lesenswert. Statt atemloser Wendungen und künstlicher Dramatik gibt es gewissenhafte Ermittlungsarbeit, glaubwürdige Figuren und ein verwurzeltes Gespür für regionale Eigenheiten. Scharner braucht keine bluttriefenden Cliffhanger oder geschiedene Ermittler, die am Burnout kratzen. Der Autor setzt auf Atmosphäre, auf Alltag und auf Authentizität. Positiv fällt mir auf, dass er das Privatleben seiner Figuren wohldosiert einsetzt und den Leser:innen damit das übliche Ermittler-Elendsprogramm erspart. Dafür gibt es von mir ein klares Lob.

Wer einen bodenständigen, stimmungsvollen Krimi sucht, der seine Region ernst nimmt und nicht als beschauliche Kulisse verheizt, ist mit „Mostviertler Grafen“ in Ybbsitz genau richtig. Für mich ist es einer der stärksten Teile der Reihe, weil dieser zeigt, dass Spannung nicht immer laut sein muss.

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MEINE BEWERTUNG
★★★★

Kommissar Brandner im Mostviertel:
1) Mostviertler
2) Mostschlinge [Rezension lesen]
3) Mostviertler Jagd [Rezension lesen]
4) Mostbarone [Rezension lesen]
5) Mostviertler Grafen
6) Mostviertler Kaiserin

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