Mittwoch, 12. Dezember 2018

Rezension: Kahlschlag - Joe R. Lansdale

© Golkonda Verlag
Kahlschlag
| Joe R. Lansdale |

Verlag: Golkonda Verlag 2010
Seiten: 362 
ISBN: 9783942396011

MEINE BEWERTUNG 

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Derbe Familiengeschichte mit Krimi-Anteil

Sunset, die Frau mit den roten Haaren wird dem texanischen Städtchen Camp Rapture ewig in Erinnerung bleiben. Sie wird zum ersten weiblichen Constable in den 1930er-Jahren, weil sie ihrem Ehemann Pete den Kopf wegschießt. Und dies ist ihre Geschichte. 

Es beginnt mit einen tosenden Sturm der Camp Rapture im wahrsten Sinne des Wortes aus den Angeln hebt. Denn der brausende Wind der Zerstörung fegt nicht nur über die Häuser hinweg, sondern mittendrin spielt sich ein Ehedrama ab: Sunset erschießt ihren gewalttätigen Ehemann. 

Mit diesem Einstieg hatte mich Lansdale bei der Hand. Hier habe ich mich so richtig auf die Geschichte gefreut, und war von der ersten Seite an im Texas der 1930er-Jahre angelangt. Sunset tötet ihren Ehemann Pete, der über sie herfällt, sie schlägt und vergewaltigen will. Diese Szene ist eindrucksvoll, brutal und nüchtern beschrieben. Sie stachelt zum Weiterlesen an.


Der Mord am aggressiven Pete wird ihr sogar von der Schwiegermutter verziehen, weil sich alle einig sind, dass er ein brutales Scheusal war. Danach wird Sunset zum Constable - zum Gesetzeshüter - gemacht. 


Bis dahin ist die Story von Sunset, dem ersten weiblichen Constable von Camp Rapture, großartig und eindringlich erzählt. Lansdale beschwört gewaltige Bilder herauf, erschafft eine feurige Witwe, die der Herrenwelt zeigt, wie der Hase läuft, und leitet damit Sunsets ersten Fall als Constable ein.


Danach lässt die Geschichte stark nach, was gar nicht einmal an der Handlung liegt. Der Hergang an sich hat ganz viel Potential, und wenn dieser Roman nicht von Lansdale wäre, hätte ich ihn vielleicht sogar besser bewertet. 


Was mir fehlt ist diese - für Lansdale - typische dichte Atmosphäre, die ansonsten aus seinen Büchern rinnt. In diesem Roman wird nüchtern erzählt, der Autor arbeitet die chronologische Reihenfolge der Ereignisse ab. Er geht weder auf wesentliche Charaktere ein, noch nimmt er sich Zeit, Zusammenhänge sauber zu verarbeiten. Lansdale knallt dem Leser simpel die Ereignisse hin. Er bleibt zwar seinem ordinären Stil, aber nicht der einnehmenden Stimmung treu. 


Die derbe Sprache muss unbedingt erwähnt werden. Lansdale ist kein Autor für zarte Gemüter und der Leser darf besonders bei diesem Werk nicht empfindlich sein. Er nimmt kein Blatt vor dem Mund, führt einen unschicklichen Ton und driftet in eine düster-pessimistische Erzählweise ab.


Die Handlung unterteile ich in zwei Stränge. Erstens geht es um Sunset und ihre verschrobenen familiären Verhältnisse. Sie hat einen toten Ehemann, eine verstörte Tochter und eine merkwürdige Schwiegermutter, wozu sich im Verlauf der Handlung weitere Figuren gesellen. 
Zweitens ist Sunset als Constable einem Kriminalfall auf der Spur. Es werden texanische Verhältnisse beleuchtet, und man weiß am Ende, woher mancher Texaner seinen Reichtum hat.


Thematisch stellt Lansdale ernste Aspekte in den Fokus. Es geht um familiäre Gewalt, die Stellung von Frauen, Rassismus und das Recht auf Selbstbestimmung. Hier spricht er wichtige Bereiche an, die damals wie heute unter den Nägeln brennen.


Unterm Strich bleibt eine außergewöhnliche Familiengeschichte mit Krimianteil oder ein Krimi mit familiären Hintergrund. Wer Lansdale liebt, wird mit „Kahlschlag“ nicht ganz auf seine Kosten kommen. Für Leser, die eine gewaltige Geschichte mit einer feurigen Protagonistin erleben wollen, kann es trotz meiner Kritik zum unvergessliche Leseerlebnis werden.

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MEINE BEWERTUNG

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2 Kommentare:

  1. Guten Morgen Nicole :D

    Du bist aber schnell und hast tatsächlich die perfekten Worte gefunden! :D Klasse! Ich stimme dir voll und ganz zu, auch wenn das bisher erst mein drittes Buch von ihm war, hat mir diese Atmosphäre der anderen zwei Bücher hier irgendwie gefehlt. Es wurde tatsächlich vieles einfach nur abgearbeitet, dabei hatte die Geschichte nach dem grandiosen Anfang echt Potenzial!

    Ich bin nun einfach mal auf "Das Dickicht" gespannt! :D

    Liebe Grüße
    jessi

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    1. Hallo Jessi,

      ja, da sind wir ganz einer Meinung. :D Schade um die gute Story, interessant war es trotzdem allemal.

      Ich freue mich schon sehr auf "Das Dickicht" - hoffentlich kann uns Lansdale da wieder so richtig nach Texas ziehen.

      Liebe Grüße,
      Nicole

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