Samstag, 21. August 2021

Rezension: 1918 - Die Welt im Fieber - Laura Spinney

1918 - Die Welt im Fieber - Laura Spinney
© Hanser Carl
1918 - Die Welt im Fieber
| Laura Spinney |

Verlag: Hanser Carl 2020
Seiten: 384 
ISBN: 9783446258488

MEINE BEWERTUNG 
- ★★★★ - 



Ein Virus zieht um die Welt

Als der Erste Weltkrieg sein Ende fand, trat die nächste Katastrophe durch die Tür: An der Spanischen Grippe ist ein Drittel der Weltbevölkerung erkrankt. Obwohl diese Pandemie todbringender als der Große Krieg war, scheint sie verdrängt, ausgeklammert und maximal als Fußnote in Geschichtsbüchern zu stehen. Laura Spinney erlaubt einen umfassenden Blick auf eine Zeit, die den Ereignissen von 2020 sehr ähnlich ist. 

„1918 - Die Welt im Fieber“ ist ein Sachbuch, das sich mit der Spanischen Grippe auseinandersetzt.

Ich habe mich von jeher für Viren, Epidemien und Pandemien interessiert. Daher stand es für mich außer Frage, dass ich mehr über die Spanische Grippe erfahren möchte. Allerdings ist mein Interesse niemals so weit gegangen, dass ich unbedingt selbst an so einem Weltereignis teilnehmen wollte. 

Wichtig und bemerkenswert ist, dass dieses Buch 2018 veröffentlicht wurde und daher von den Gegebenheiten rund um die Corona-Pandemie nicht beeinflusst ist. 

Laura Spinney erschafft ein umfassendes Bild der Spanischen Grippe. Sie erzählt, wie diese Krankheit in die Welt kam und wie sie sich ausgebreitet hat. Dazu geht sie auf viele Theorien und die Wirren der Kriegszeiten ein. Sie beleuchtet unterschiedliche Wege, wie sich die Grippe über die Welt verbreitet hat, führt Belege an und stellt dar, was gegen die genannten Thesen spricht. 

Sie erzählt, wie die Krankheit zu ihrem Namen kam und warum die Spanier wenig begeistert von der Namensgebung sind. Außerdem beschreibt sie, welche Herausforderung die Pandemie für die Mediziner war und mit welchen mythischen Riten sich die Bevölkerung davor zu schützen gedachte.

Zudem jagt sie Patient null, der bis heute nicht eindeutig identifizierbar ist. Es wird von bösen Geistern und guten Samaritern erzählt, welche Rolle der Krieg einnahm und wie sich die Gesellschaft trotz oder wegen der Grippe aus dem Nachkriegselend erhob. Zum Ende werden die Toten gezählt und wie die Erinnerung an sie aus unserem sozialen Gedächtnis verschwunden ist. 

Meiner Ansicht nach ist dieses Werk ausgezeichnet aufbereitet. Die Kapitel greifen ineinander und Spinney baut logisch den Ablauf und die Konsequenzen der Spanischen Grippe auf. Sämtliche Theorien sind mit ihrer Herkunft belegt, sie werden diskutiert und die Autorin veranschaulicht, dass der gesamte Ablauf niemals vollständig rekonstruiert werden wird.

Mich haben vor allem die damaligen politischen und gesellschaftlichen Reaktionen auf die Seuche interessiert. Mit offenen Mund habe ich von Maßnahmen gelesen, die mittlerweile jeder aus erster Hand kennt: Quarantäne, Lockdown, Mundschutz - um nur einige zu nennen.

Die Parallelen enden damit nicht, denn der Mensch von damals hat ähnlich wie sein moderner Nachkomme reagiert:

„1918 fragten sich die Menschen in den Entente-Staaten, wenn sie zu den vom deutschen Pharmahersteller Bayer produzierten Aspirinschachteln griffen, ob in den Tabletten wirklich nur Aspirin enthalten war.“ (S. 89, eBook)

„Andere wiederum hatten den Verdacht, die Grippe gehe auf ein Geheimprogramm biologischer Kriegsführung zurück (...)“ (S. 88 - 89, eBook)

Genauso verbreitet war der ignorante Bevölkerungsanteil, der sich damals wie heute zeigt:

„ (…) zum Beispiel die mangelnde Einsicht, dass ein Infizierter, der sich frei bewegte, die Krankheit weiterverbreitete.“ (S. 96, eBook)

Nach der Lektüre finde ich es schade, dass wir Menschen wenig aus der Vergangenheit lernen, denn wenn die Spanische Grippe und hoffentlich bald Corona hinter uns liegen, ist es sicher, dass es nicht die letzte Pandemie gewesen ist: 

„Eine 2016 von der Commission on Creating a Global Health Risk Framework for the Future (GHRF) - einer unabhängigen internationalen Expertengruppe, einberufen von der amerikanischen National Academy of Medicine - veröffentlichter Bericht gelangt zu der Einschätzung, dass es im Lauf der nächsten hundert Jahre mit 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit vier oder mehr Pandemien geben werde (…).“ (S. 309 - 310, eBook)

„1918 - Die Welt im Fieber“ ist ein interessantes Sachbuch, das in unserer Gegenwart aktuell besonderes Augenmerk verdient. Meiner Meinung nach sollte es bei Interesse unbedingt gelesen werden, weil es den Blick für unser gegenwärtiges Leben und Entwicklungen schärft und sogar ein wenig hoffnungsvoll stimmt. 
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MEINE BEWERTUNG
★★★★★

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4 Kommentare:

  1. Guten Morgen Nicole,
    endlich lese ich mal eine Meinung zum Buch. Ich habe es schon länger im Auge. Bin immer noch etwas zwiegespalten, weil ich Angst habe, dass mir das Thema zum aktuellen zu ähnlich ist, aber deine Bewertung macht mich neugierig.

    Und tatsächlich bin ich neugierig, wie die politische Seite damals ausgesehen hat, vor über 100 Jahren. Denn aktuell meiden wir alle Medien in die Richtung und können nur mit dem Kopf schütteln.

    Hab einen schönen Start ins WE 😊
    Andrea

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    1. Hallo Andrea,

      ich hatte schon vor Corona ein Auge auf das Buch geworfen. Ehrlich, wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte ich es nicht gelesen. Momentan habe ich selbst vom Pandemie-Thema genug. :D Aber es ist wirklich gut aufbereitet und es ist schon erschreckend, wie verdutzt wir Menschen der Corona-Pandemie gegenüber stehen, obwohl es ein alter Hut ist. :D Nichts, was wir Menschen nicht schon geschafft hätten.

      Nachrichten mag ich mir auch nicht mehr ansehen. Das Thema hält doch keiner mehr aus.

      Schönes Wochenende!

      Liebe Grüße,
      Nicole

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  2. Guten Morgen liebe Nicole,
    ich habe das Buch auch schon eine Weile auf der Wunschliste. Etwas erstaunt bin ich über die damaligen politischen und gesellschaftlichen Reaktionen, die sich hundert Jahre später nicht geändert haben. Das ist irgendwie angsteinflößend....
    Und ja, die Menschheit scheint noch nie etwas aus der Geschichte gelernt zu haben.

    Liebe Grüße
    Martina

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    1. Hallo Martina,

      schon, oder? Und es muss immer alles neu erfunden werden, was mich auch irgendwie stört. Dabei müsste die Menschheit endlich mal aus ihren eigenen Erfahrungen lernen. Allein schon aus den Pestzeiten gibt es ja viele Pläne, wie womit umgegangen wird. Damals waren Lock-Downs auch normal in solchen Situationen. Laut diesem Buch war eine Pandemie wie Corona übrigens überfällig. Im Schnitt geht alle 50 Jahre eine Krankheit um die Welt (muss aber nicht immer so gefährlich sein).

      Liebe Grüße,
      Nicole

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