![]() |
© Festa |
| Carissa Orlando |
Verlag: Festa 2025
Seiten: 432
ISBN: 978-3986761950
MEINE BEWERTUNG
- ★★★★★ -
Keine simple Geistergeschichte, eher ein Familiendrama
Margaret und Hal ziehen in ein viktorianisches Haus, das jedes Jahr im September von blutigen Erscheinungen und Geistern heimgesucht wird. Während Hal die Flucht ergreift, ist Margaret entschlossen, das Haus nicht aufzugeben. Doch je länger sie bleibt, desto düsterer zeigen sich die Geheimnisse, die das Haus verbirgt.
Als ich „Das Septemberhaus“ von Carissa Orlando aufgeschlagen habe, hatte ich eine klassische Spukgeschichte im Kopf. Ich dachte an knarzende Böden, geisterhafte Erscheinungen und ein paar Schockmomente. Doch statt plakativer Gruseleffekte entfaltet sich die Handlung wie ein seltsames Kammerspiel, in dem die Grenzen zwischen Familiendrama, Humor und übernatürlichem Schrecken verschwimmen. Ich war irritiert und musste schmunzeln, weil dieser Roman eine äußerste ungewöhnliche Geistergeschichte enthält.
Wie in der Kurzbeschreibung des Verlags beschrieben, ist Hal verschwunden, weswegen Margaret im Mittelpunkt steht. Sie nimmt das Haus und seine unerwarteten Bewohner:innen auf eine stoische Art hin, als hätte sie sich längst an das Ungewöhnliche gewöhnt. Egal, ob blutige Wände, schelmische Geistererscheinungen oder ein mordlustiger Untermieter, die Protagonistin kommentiert vieles mit einer Gelassenheit, die ich schwer nachvollziehen konnte. Meiner Meinung nach liegt darin Margarets Charme. Statt in Panik aus dem Haus abzuhauen, bleibt sie, macht ihre eigenen Regeln und wirkte damit beinahe amüsant in ihrer Unerschütterlichkeit.
Das Verschwinden ihres Manns Hal nimmt sie jedenfalls erstaunlich gefasst hin, was mich mehr als einmal zum Stirnrunzeln gebracht hat. Diese Unbekümmertheit verleiht dem Buch einen schrägen Unterton, der es von klassischen Horrorgeschichten deutlich abhebt.
Das Haus selbst ist voller Figuren, die man nicht unbedingt als Gäste erwarten würde. Da sind eine klavierspielende Frau, ein Junge mit Biss, eine Hausangestellte, die trotz kopflastigen Schicksals weiterhin ihren Platz einnimmt, und sogar ein Mörder, der sich in Schränken verbirgt. Die Gestalten treten so selbstverständlich auf, dass ich mich immer wieder gefragt habe, ob Margaret sie tatsächlich wahrnimmt oder ob alles nur in ihrer Vorstellung existiert. In diesem Haus war ich mir nie sicher, was real ist und was nicht. Es herrscht jedenfalls eine seltsam schaurige, zugleich aber auch eine befremdlich alltäglich-heitere Atmosphäre.
Neben den Erscheinungen im Haus schiebt sich nach und nach ein anderes Thema in den Vordergrund. Es geht um die Familiengeschichte von Margaret, Hal und der gemeinsamen Tochter Katherine. Alte Verletzungen, unausgesprochene Konflikte und die Schatten einer Ehe, die über die Jahre Risse bekommen hat, schwirren zwischen den Zeilen. Dabei wirkten sie oftmals bedrückender als manches Grauen.
Katherines Verhältnis zu ihrer Mutter ist von Misstrauen und unausgesprochenen Groll geprägt, was die Begegnungen zwischen den beiden aufgeladen und spannend macht. Für mich hatte die Handlung an vielen Stellen fast mehr von einem Familiendrama als von einer Geistergeschichte. Jedenfalls hat der Zwiespalt zwischen familiären Problemen und übernatürlichem Schrecken die Geschichte eigenwillig und vielschichtig gemacht.
Ein großes Fragezeichen begleitete mich durch weite Teile des Romans. Ich fragte mich, ob Margaret die Wahrheit erzählt, oder ob sie eine unzuverlässige Erzählerin ist. Es gab immer wieder Momente, in denen ich überzeugt war, dass sich Margaret alles einbildet. Die Geister, das Bluten der Wände, sogar beim Verschwinden ihres Mannes war ich mir unsicher. Dann tauchten aber wieder Hinweise auf, die für ihre Sicht der Dinge sprachen. Diese Unsicherheit hat mich beim Lesen regelmäßig ins Wanken gebracht. Nichts fühlte sich eindeutig an, alles blieb schillernd und hochinteressant.
Im Finale kommt ein radikaler Bruch. Aus einer merkwürdig-ironischen, fast schon skurrilen Geschichte, wird plötzlich blanker Horror. Die Autorin knallt ein schonungsloses Schauer-Repertoire aus knackenden Knochen, spritzenden Blut und erschreckenden Verrenkungen auf den Tisch. Der Abschluss hat mich völlig überrollt. Ich war sprachlos, überwältigt und fasziniert von dem schlagartigem Wechsel. Am Ende saß ich mit zitternden Händen da. Ich war förmlich überrascht, wie sehr mich das Buch mitgerissen hat.
„Das Septemberhaus“ ist anders als ich es mir vorgestellt habe. Statt einer simplen Geistergeschichte bekam ich ein Familiendrama verpackt als psychologisches Verwirrspiel und einer finalen Eskalation, die mich staunend zurückgelassen hat. Der eigenartige Humor am Anfang, Margarets stoische Haltung und meine ständigen Zweifel an ihrer Wahrnehmung haben das Buch zu einer ungewöhnlichen, durchaus fesselnden, Lektüre gemacht. Auch wenn es anders war, bin ich froh, dass ich mich auf diesen verstörenden Besuch eingelassen habe.
______________________
*Affiliate-Link = Für mich fallen ein paar Cents ab, wenn du hier kaufst
Mehr dazu in der Datenschutzerklärung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Mit Nutzung der Kommentarfunktion akzeptierst du die Speicherung deiner Daten. Mehr dazu in der Datenschutzerklärung