Mittwoch, 29. Oktober 2025

Rezension: Atlantis - Stephen King

Atlantis - Stephen King
© Heyne
Atlantis
| Stephen King |

Verlag: Heyne 2011
Seiten: 800
ISBN: 978-3453435711

MEINE BEWERTUNG 
- ★★★
 - 
 


Über das, was war und über das, was bleiben wird 

Geheimnisvolle Männer, lebensgefährliche Kartenspiele, blinde Pendler und erschöpfte Kriegsveteranen werden in losem Zusammenhang zu einem Werk über eine gesamte Generation vereint. 

"Atlantis" ist für mich kein Buch, das man liest und zur Seite legt. Mich hat es leise hineingezogen und ich habe mich in einer Welt gefunden, in der Kindheit, Krieg und Erinnerungen ineinander gehen.

Stephen King vereint in diesem Werk mehrere Geschichten, die lose verbunden sind. Dennoch entfalten sie nur gemeinsam ihre volle Wirkung, da sie Motive, Figuren und eine eigentümliche Melancholie teilen, die sich durch das ganze Buch ziehen.

"Atlantis" ist tiefsinnig erzählt, denn man merkt, dass etwas unter der Oberfläche brodelt. Es geht um Verlust, um Schuld und um das, was aus uns wird, wenn wir unsere Unschuld verlieren. Zudem schafft King in jeder Geschichte eine eigene Stimmung, die mich manchmal ratlos oder gar traurig zurückgelassen hat. 

"Niedere Männer in gelben Mänteln"

Zu Beginn treffen wir Bobby, der mit seiner Mutter allein lebt. Sein Familienleben ist von Kälte und Schweigen geprägt. Die Mutter wirkt verschlossen und geizt, nicht nur mit Zuneigung. 

Mit Ted kommt ein Lichtblick in die Nachbarschaft. Er ist ein seltsamer, liebenswürdiger alter Mann, der sich mit Bobby beschäftigt und Wärme in das Leben des Jungen bringt. Diese Freundschaft ist das Herzstück der Geschichte. Ich mochte die Gespräche zwischen ihnen, die ruhigen Momente. Ted nimmt Bobby ernst und gibt ihm das Gefühl, gesehen zu werden. Dass Ted nicht ganz von dieser Welt ist, wird früh deutlich. 

King färbt diese Geschichte im Sepia-Ton eines Coming-of-Age-Romans. Bobbys Welt verändert sich. Es kommt zur ersten zarten Liebe, Streitigkeiten mit seiner Mutter und er erlebt einen Sommer, in dem alles zerbricht. 

Ich war völlig gefesselt und habe sogar während einer Zugfahrt meine Haltestelle verpasst. Denn die Ereignisse überschlagen sich. Freundschaften zerbrechen Vertrauen wird verraten, und Bobby verliert seine Unschuld, die er nie zurückbekommen wird. 

Beeindruckt hat mich, wie King zeigt, dass ein Mensch durch die Menschen um ihn geformt wird. Teds Güte bringt das Beste in Bobby hervor. Hingegen zieht ihn seine Mutter in ihre eigene Bitterkeit. Am Ende, als alles verloren scheint, kommt ein blühendes Zeichen von Hoffnung, das mich richtig gerührt hat. 

Diese Geschichte hat mich inhaltlich und emotional mitgerissen. Mir gefällt immer, wie King das Alltägliche mit dem Unheimlichen vereint, und dabei alles echt und lebendig wirken lässt.

"Herzen in Atlantis"

Diesmal begleiten wir Pete Riley, einen College-Studenten, der sich durch die Tage treiben lässt. Er ist kein Held und kein Genie, sondern ein junger Mann, der zwischen Verantwortung und Ablenkung pendelt. 

Im Mittelpunkt steht das Kartenspiel "Hearts", das sich wie eine Sucht über das College legt. Zuerst wirkt es harmlos, aber schnell wird klar, dass es eine Form der Selbstzerstörung ist. King hat diesen Sog treffend beschrieben. Man weiß, dass es schadet, und spielt trotzdem weiter. Das war für mich fast eine Metapher für das Leben selbst, da man manchmal lieber wegsieht, statt sich einem Problem zu stellen. 

Während am College Hearts gespielt wird, rückt der Vietnamkrieg näher. Anfangs ist er ein Thema am Rande, dann ein drohender Schatten, der über allem hängt. Wer durch die Prüfungen fällt, riskiert, eingezogen zu werden. Trotzdem vergeuden sie ihre Zeit mit Karten, anstatt zu lernen. King hat das Spannungsfeld zwischen Angst, Verdrängung und Leichtsinnigkeit eindrucksvoll beschrieben. 

Beim Lesen habe ich mich gefragt, worauf King eigentlich hinauswill, da man die meiste Zeit mit Kartenspielen verbringt. Vielleicht ist aber das der Punkt, denn manches verbummelt sich einfach. So wie sich Menschen in ihren Routinen verlieren, in der Zeit und in der Suche nach sich selbst. 

"Herzen in Atlantis" hat mich weniger gepackt, aber sie hat mich trotzdem berührt. Sie zeigt, wie leicht man sich in Nebensächlichkeiten verzettelt, obwohl man spürt, dass das Leben einen anderen Kurs verlangt.

"Blind Willie" 

Anfangs wirkt diese Geschichte alltäglich. Man begleitet einen Mann, der morgens wie jeder andere zur Arbeit fährt. Aber nach wenigen Seiten merkt man, dass etwas nicht stimmt. King überrascht mit einer absurd-verschachtelten Ausgangssituation, die dennoch glaubwürdig umgesetzt wird. Denn in Blind Willies Vergangenheit gibt es etwas, dass ihn antreibt: Schuld.

Stephen King zeigt, wie Schuld einen langsam von innen auffrisst. Willies Leben wirkt wie ein Versuch, sich zu reinigen, obwohl er weiß, dass das nicht möglich ist. 

Diese Erzählung hat mich jedenfalls fasziniert, weil sie in all ihrer Verlorenheit menschlich ist. 

"Warum wir in Vietnam sind"

In der vorletzten Geschichte begleiten wir einen Kriegsveteran, der in seinem Leben nach Vietnam einigermaßen zurecht kommt. Man spürt die Schwere, die über allem liegt. King zeigt hier eindringlich, was der Krieg aus einem macht, selbst lange, nachdem er vorbei ist. Dabei gibt er dem "Kriegsveteran" ein Gesicht, der scheinbar ein normales Leben lebt, aber innerlich zerbrochen ist. Er wird von Erinnerungen an die Schlacht, den Toten, den Kameraden und Folgeschäden gequält. Damit zeigt der Autor eine Generation, die im Gefecht erwachsen wurde, und eine Last trägt, die sich nicht ablegen lässt. Er erzählt vom Schatten des Krieges, der selbst Jahrzehnte später die Sonne abhält. 

„Heavenly Shades of Night Are Falling“

Der Abschluss ist kurz und hat mich tief berührt. Nach all den Schicksalen und Schmerzen des Krieges schließt King den Kreis. Er fängt die Vergänglichkeit des Lebens ein und ließ mich damit traurig aber auch versöhnt zurück. Es ist kein lauter Abschied, kein großer Schlussakkord, sondern ein stilles Ausatmen nach einer langen Reise. 

Jede Geschichte steht für sich, doch letztendlich ergeben sie gesammelt einen Roman über das Leben und was wir auf diesem Weg verlieren. Ich bin mit vielen Fragen zurückgeblieben, aber auf eine gute Art. Denn man sinniert am Ende über das was war und über das, was bleiben wird. 

Für geduldige Leser:innen spreche ich hiermit eine Empfehlung aus, da King einen differenzierten Blick auf die Vietnam-Generation wirft, und sich auf die kleinen Gesten, das Unausgesprochene und das Menschsein konzentriert.
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MEINE BEWERTUNG
★★★★

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