Freitag, 10. Oktober 2025

Rezension: Unser Teil der Nacht - Mariana Enriquez

Unser Teil der Nacht - Mariana Enriquez
© Tropen
Unser Teil der Nacht
| Mariana Enriquez |

Verlag: Tropen 2022

Seiten: 832
ISBN: 978-3608501612 

MEINE BEWERTUNG 
- ★★★
 - 



Wo Macht ist, ist auch Schatten.
 
Dunkelheit und Licht. Grausamkeit und Liebe. Eine düstere Familiensaga entspinnt sich im Schatten der argentinischen Militärdiktatur. Ein Vater im Kampf gegen ein Erbe, dem kaum zu entkommen ist.

„Unser Teil der Nacht“ von Mariana Enriquez habe ich mir zugelegt, weil es auf einer Liste der besten Horror-Romane auftauchte. Eine Empfehlung, die mich neugierig machte, auch wenn mich die über 800 Seiten zögern ließen. Schnell habe ich gemerkt, dass dieses Werk nicht mit klassischen Schockmomenten arbeitet, sondern auf eine vielschichtige Weise verstörend ist. Enriquez verbindet eine düstere Familiensaga mit argentinischer Geschichte, Machtstrukturen und dem Unaussprechlichen, das hinter der Fassade der Gesellschaft lauert. Schon nach wenigen Kapiteln wurde mir bewusst, dass es Geduld erfordert und dennoch hat es eine unheimliche Wirkung entfaltet. 

Es erzählt die Geschichte einer Familie, die im Zentrum einer geheimnisvollen Sekte steht. Dreh- und Angelpunkt des Romans ist das Verhältnis zwischen Juan und seinem Sohn Gaspar. Juan ist ein Medium, das in grausamen Ritualen einer dunklen Macht dient. Der Orden hofft sich von dieser Verbindung, Erkenntnisse über das ewige Leben zu verschaffen. Doch Juan weiß, dass seine Kräfte ihn zerstören und dass auch sein Sohn für diese Rolle vorgesehen ist. Währenddessen entfaltet der Roman ein weites Panorama und geht auf eine Reise quer durch Argentinien in die Jahre der Militärdiktatur über Rückblenden in die Vergangenheit bis hin zu Gaspars eigenem Weg ins Erwachsenwerden. Neben dem Übernatürlichen spielen Politik, Gewalt, Sexualität und die Suche nach Identität eine Rolle.

Juan ist schön und charismatisch, von einer fast magnetischen Ausstrahlung, der Menschen sich kaum entziehen können. Gleichzeitig ist er krank, gezeichnet von Narben und erschöpft durch sein Dasein als Medium. Seine Rolle innerhalb der Sekte ist grausam, und sein kleiner Sohn Gaspar soll eines Tages sein Nachfolger werden.

Trotz dieser düsteren Anlage hatte ich während des Lesens vor allem mit der Beziehung zwischen Vater und Sohn zu kämpfen. Anstatt Gaspar zu beschützen, wirkt Juan hart, abweisend und brutal. Diese Kälte hat mich fassungslos gemacht, weil sie Gaspars Kindheit so trostlos erscheinen lässt. Die Zuneigung zwischen Vater und Sohn bleibt aus. Das war für mich die verstörendste Ebene der Handlung.

Später rückt Gaspar mehr in den Mittelpunkt. Als Leser:in begleitet man ihn durch eine Kindheit und Jugend, die von Rätseln, Verlust und dem dunklen Erbe seiner Familie überschattet ist. Er weiß wenig über die Rolle des Vaters oder die Erwartungen der Sekte. Nach und nach dringen diese Geheimnisse in sein Leben. Dabei spürt man, wie er zwischen Normalität und Abgrund schwankt

Hier zeigt Enriquez eine Welt, in der Menschen als Werkzeuge betrachtet werden und in der selbst Kinder den grausamen Ritualen nicht entkommen. Man erspäht ein Geflecht aus Angst, Tradition und Gewalt, in dem Juan und Gaspar gefangen sind.

Neben der unheimlichen Familiengeschichte entfaltet „Unser Teil der Nacht“ ein Panorama der argentinischen Gesellschaft. Die düstere Sekte wirkt dabei wie ein Spiegel für politische Machtstrukturen: Menschen verschwinden, Grenzen zwischen Täter und Opfer verschwimmen, und Gewalt wird zum alltäglichen Hintergrundrauschen. 

Immer wieder greift die Autorin Themen wie Sexualität, Krankheit und Erschöpfung auf. Figuren suchen Nähe, überschreiten Grenzen, verlieren sich in Alkohol oder Drogen. Homosexualität und Bisexualität sind selbstverständlicher Teil dieser Welt, ebenso wie Aids oder Arbeitslosigkeit. Dadurch wirkt der Roman manchmal mehr wie ein Gesellschaftsporträt mit unheimlichen Elementen als wie ein klassischer Horrorroman. Meiner Meinung nach war das einerseits faszinierend, andererseits anstrengend, weil die eigentliche Handlung zwischen die Zeilen rutschte. 

Am Ende habe ich „Unser Teil der Nacht“ als ein seltsames, zugleich faszinierendes wie auch belastendes Buch empfunden. Es gibt Passagen, die unglaublich packend sind und mich regelrecht in den Strudel der Geschichte zogen. Dann verliert sich der Roman in ausufernden Beschreibungen, grausamen Details und einer Atmosphäre, die manchmal mehr erdrückt, als sie trägt.

Trotzdem hat das Buch etwas Einzigartiges. Es ist Horror, der sich auf das Ausloten von Macht, Gewalt und menschlichen Abgründen konzentriert. Letztendlich war ich aber erleichtert, als ich die letzte Seite umblättern konnte.
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MEINE BEWERTUNG
★★★

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