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| © Rowohlt |
| Norman Partridge |
Verlag: Rowohlt 2023
Seiten: 180
ISBN: 978-3644013940
MEINE BEWERTUNG
- ★★★★★ -
Aus Stroh geflochten und mit Blut besudelt
An Halloween treibt eine lebendig gewordene Vogelscheuche mit einem Messer ihr Unwesen. Zielstrebig zieht sie durch die Nacht und hinterlässt eine blutige Spur, während ihr Jugendliche dicht auf den Fersen sind.
Ich hatte „Dark Harvest“ schon einmal in der Hand, ließ es damals aber liegen, weil ich glaubte, es sei bloß eine blutige Halloween-Story. Eine dieser Geschichten, in denen ein Monster wütet, während nach und nach alle Figuren fallen, à la Messer, Vogelscheuche, fertig. Durch eine begeisterte Rezension wurde ich neugierig und wagte schließlich einen Versuch. Zum Glück! Denn ich habe kein plumpes Halloween-Spektakel erhalten, sondern eine fast poetische Horror-Geschichte, die mich überrascht und beschäftigt hat.
Das Büchlein ist mit rund 180 Seiten recht kurz, aber es hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Norman Partridge braucht keine langen Anläufe. Gleich zu Beginn steht man mitten in einer amerikanischen Kleinstadt, in der jedes Jahr an Halloween ein unheimliches Ritual stattfindet: Eine Vogelscheuche mit einem Kürbiskopf, der October Boy genannt, erhebt sich aus dem Maisfeld und zieht mit einem Messer geschmückt Richtung Stadtzentrum.
„Er denkt daran, dass eine Vogelscheuche mit einem Kürbis als Kopf durch die Gegend läuft.“ (8 %, eBook)
Die Jungen der Stadt werden bewaffnet auf ihn losgelassen. Wer den October Boy aufhält, soll ein neues Leben bekommen, weit weg von dem trostlosen Ort. Natürlich will jeder Jugendliche gewinnen und das macht diese Nacht recht grausam.
Von Anfang an entfaltet die Geschichte eine Atmosphäre, die mir unter die Haut gegangen ist. Die Nacht ist lebendig. Es huschen Schatten und Jungen ziehen mit Messern und Baseballschlägern los, um eine Vogelscheuche aufzuhalten, die mordend durch die Straßen stakst. Es ist der Inbegriff einer bedrohlichen Halloween-Nacht, und doch steckt in alldem weit mehr als pure Blutrünstigkeit. Je weiter man liest, desto deutlicher wird, dass der wahre Schrecken nicht in der Vogelscheuche lauert, sondern in der Kleinstadt, die sie hervorgebracht hat.
Mit dem October Boy und dem Jugendlichen Pete McCormick erlebt man zwei Seiten einer Münze. Der eine ist ein Opfer, der andere ein Suchender. Beide tragen den Wunsch nach Freiheit, nach einem Ausweg aus der engen Welt, in die sie hineingeboren wurden, in sich. Pete entwickelt den Mut, Fragen zu stellen, und der October Boy wird zum Sinnbild einer erbarmungslosen Tradition, die sich Jahr für Jahr wiederholt. Partridge erzählt von der Grausamkeit der Erwartungen, von der Wucht falscher Versprechen und von dem Schmerz, den es kostet, sich dagegen aufzulehnen.
„Er ist schlau genug, um zu wissen, dass Worte nichts zählen, wenn sie nicht den steinigen Weg beschreiten, der zur Wahrheit führt.“ (5 %, eBook)
Aufgefallen ist mir, wie der Autor Poesie in das Grauen webt. Zwischen blutigen Szenen und besudelten Gassen finden sich Sätze, die von Sehnsucht und Wehmut durchzogen sind. Es sind melancholische Augenblicke, in denen man erkennt, dass „Dark Harvest“ nicht nur eine Horror-Geschichte ist. Meiner Meinung nach ist es eine Parabel über das Erwachsenwerden. Es geht darum, wie leicht sich gute Absichten in Zwang und Gewalt verkehren, wenn man die Regeln einer Gesellschaft nicht mehr hinterfragt.
Das Ende hallt lange nach. Es ist wuchtig, traurig und auf seine Weise versöhnlich. Wenn man das Buch zuschlägt, bleibt ein Kloß im Hals zurück, und ich hatte den Gedanken, dass Monster nicht geboren, sondern gemacht werden. Zuletzt blieben bei mir Fragen aber offen, auf die ich zu gerne Antworten gehabt hätte.
„Dark Harvest“ ist aus Stroh geflochten, von Blut genährt und in die Nacht getragen. Es ist ideal für die dunklen Abende rund um Halloween und für Leserinnen und Leser, die sich gern von einer Geschichte überraschen lassen, die unter ihrer rauen Schale ein düsteres, poetisches Herz trägt.
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Huhu Nicole,
AntwortenLöschenDas Buch hatte ich ja letztes Jahr gelesen unter dem Titel "Die dunkle Saat" und vorher durch Zufall leider schon den Film gesehen, der für mich tatsächlich noch besser als das relativ kurze Buch war, weil es da eine krassere Wendung noch gibt und mehr Hintergründe erklärt werden.
Die Idee hinter dem October Boy und die ganze Jagd fand ich ja echt genial, das Buch hätte aber echt ruhig doppelt so lang sein können!
Liebe Grüße
Jessi
Hallo Jessi,
Löschenzu dem Buch hast du mich inspiriert. :) Ich habe es mir kurz nach dem Erscheinen deiner Rezension gekauft und dann habe ich es eine Weile liegen lassen. Ansonsten hätte ich wohl niemals dazu gegriffen, weil ich ganz eine andere Geschichte vermutet habe.
Stimmt, man hätte auch einen genialen, umfangreichen Roman daraus machen können. Aber es war, trotz der wenigen Seiten, überhaupt nicht oberflächlich erzählt. Das hat mich schon gewundert. Patridge hat richtig gut Stimmung erzeugt.
Liebe Grüße
Nicole
Huhu Nicole
LöschenOh ja, die Stimmung war schon sehr genial! Bei mir ist das Buch ja jetzt echt ein Jahr her, aber ich denke echt noch öfter an den October Boy. Das beweist schon, dass sich die Geschichte echt einprägt. Für mich war es auch letztes Jahr die perfekte Halloweenlektüre!
Liebe Grüße
Jessi