Samstag, 13. Juli 2019

Rezension: Drive-In - Joe R. Lansdale

© Random House
Drive-In
| Joe R. Lansdale |

Verlag: Heyne Hardcore 2015
Seiten: 736 
ISBN: 9783453676725

MEINE BEWERTUNG 

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Im Supermarkt des Wahnsinns

Das größte Drive-In-Kino von Texas ist durch einen Kometen von der Außenwelt isoliert. Viertausend Autos sind eingeschlossen, während der leere Wahnsinn die Kinobesucher umzingelt.

"Drive-In" beinhaltet Lansdales gesamte Drive-In-Trilogie. Es beginnt mit dem Kometen, der Jack und seine Freunde im Autokino einschließt, geht über einen Mittelteil, der das Geschehen und den Leser an die Grenzen bringt, und endet mit einem außergewöhnlichen Abschluss, der einen regelrecht aus dem Drive-In-Orbit schießt. 

Vom Genre her ist diese Trilogie schwierig einzuordnen. Der Roman zeigt deutliche Horror-Elemente, die - wenn man sie mit Ernst betrachtet - blutig, grausam und ekelerregend sind. Hinzu kommt ein kräftiger Fantasy-Einschlag, der dennoch einen philosophischen und gesellschaftskritischen Blick auf die Gegenwart und die Realität wirft.


Die Handlung beginnt am Freitagabend, wenn die Horror-Filme ins Autokino locken. Das Orbit ist das größte Drive-In-Kino von Texas und bietet ungefähr viertausend Wagen Platz. Besonders zum Wochenende hin, wenn das Kettensägen-Massaker und ähnliche Streifen mit ihren abscheulichen Gräueltaten rufen - ist es überaus gut gefüllt.


Während sich Jack und seine Freunde auf einen feinen Filmabend des Grauens freuen, und es sich schon einmal gemütlich machen, segelt ein Komet auf die Erde herab, der den wahren Schrecken über die Filmbegeisterten bringt.


Das Autokino ist ab sofort von der Außenwelt abgeschnitten, und niemand weiß, was geschehen ist. 


Ab hier nimmt die Handlung schon bizarre Muster an, und fantastische Aspekte werden eingesetzt. Zwar spitzt sich die Lage auf natürlichem Weg zu - man denke an Nahrungsmittel und Wasserversorgung für tausende Menschen - doch auch Übernatürliches spielt mit rein.


Mitten im übernatürlichen Gebaren sind durchaus natürliche Aspekte zentral. Die Menschen verlieren bald ihre Geduld. Sie sind eingepfercht, werden ununterbrochen vom Horror beschallt und mit Popcorn abgefüttert, was rüde Brutalität zum Vorschein bringt. 


Schon allein an dieser kurzen Beschreibung kann man ablesen, dass Lansdale trotz des pulpmäßigen Stils gesellschaftskritische Töne anschlägt. Inwiefern er dieses Konzept bewusst anstrebt, ist mir allerdings schleierhaft.


Ich habe noch nie, wirklich noch nie, eine so irre Story gelesen. Es ist dreckig, es ist blutig, es ist abgefahren, und meistens faszinierend merkwürdig.


„Denn es war die Gesamtsituation, die richtig durchgeknallt war, richtig?“ (S. 282)


Die Handlung plätschert relativ gleichförmig dahin. Dabei hatte ich das Gefühl, dass Lansdale einfach drauf los geschrieben hat. Nach genauerer Betrachtung denke ich schon, dass er ein Gesamtkonzept vor Augen hatte, das einem nach Abschluss der Geschichte nachdenklich stimmt.


Lansdale zieht unter anderem mit scharfer Zunge über die Medien her. Er macht aus Film die Realität, während die Menschen begreifen, dass die Realität durchaus filmreif ist:


"Schließlich hatten sie gelernt, dass Filme die Wirklichkeit waren und alles andere Illusion, die man mühsam erzeugen musste." (S. 346)


Dabei darf man Joe R. Lansdale nicht als feinfühligen Philosophen sehen, weil dieses Werk in Ausdrucksweise, Sprache, Szenen und Passagen im derben Stil des Autors widerlich ist. Es geht um Sex, Gewalt, Blut und Fäkalien, die sich seitenweise durch die Trilogie ziehen.


Letztendlich fällt es mir schwer, Lansdales „Drive-In“ zu bewerten, aber ich kann definitiv sagen, dass ich es gerne gelesen habe. Ich habe mir angewidert das Blut aus dem Gesicht gewischt, habe den Gestank menschlicher Ausdünstungen ertragen, und bin auf Fäkalien durch das Gedärm in Richtung Orbit geritten - wenn das mal kein Erlebnis ist!


Zum Abschluss kann ich nur raten, sich bei Interesse selbst ein Bild von diesem bizarren Stück Fantasy zu machen. Hier muss jeder für sich entscheiden, ob es große Philosophie oder eher Alice-im-Wunderland-für-Fortgeschrittene ist.


„Ich sage ja nicht, dass das hier nicht ein echter Supermarkt des Wahnsinns ist.“ (S. 472)

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MEINE BEWERTUNG


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8 Kommentare:

  1. Eine geniale Rezension, Nicole!!!
    Ich hatte unterm Lesen ein fettes Grinsen im Gesicht. :D
    Es gibt viele Möglichkeiten, dieses durchgeknallte Buch zu betrachten
    und ich bin unheimlich froh, dass wir sie gemeinsam durchgegangen sind.
    Sei mir ganz lieb gegrüßt, Hibi

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    1. Danke, Hibi!

      Es war mir eine Ehre, auch diesen Lansdale mit dir gemeinsam zu entdecken. :) Das war schon ein irrer Trip! XD

      Liebe Grüße,
      Nicole

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  2. Hallo Nicole,
    wow, das klingt nach einem krassen Buch und macht mich trotz der ekligen Stellen, die du hier beschreibst, neugierig. Werde es mir mal näher anschauen.
    Tolle Rezension!
    Liebe Grüße
    Diana von lese-welle.de

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    1. Hallo Diana,

      das Buch ist schon mehr als abgefahren. Es braucht auf jeden Fall etwas Geduld und einen starken Magen. Eine ganz abgedrehte Geschichte, die doch einen sehr philosophischen Kern birgt. Bei Interesse muss man sich einfach drauf einlassen - für mich hat es sich gelohnt.

      Liebe Grüße,
      Nicole

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  3. Ich weiß spontan auch nicht mehr wie ich das Buch am Ende fand. Es ist mir auf jeden Fall, wie ein Unfall vorgekommen (im positiven Sinne). Man muss irgendwie immer wieder hingucken und es wird immer abstruser. Habe bis heute nicht bereut den fetten Schinken gelesen zu haben, aber ob ich jemals einen Reread mache XD

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    1. Das mit dem Unfall trifft es genau! Ich konnte nicht aufhören, obwohl es manchmal hart an der Grenze war. Von guten Geschmack kann man in dem Zusammenhang wirklich nicht mehr reden. XD Ich bin wirklich froh, dass ich es gelesen habe, weil's hat gar so anders ist.

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  4. Hey Nicole,

    Ich hab natürlich schon in eurer Leserunde gestalkt und ich bin nun echt traurig, dass ich nicht mitlesen konnte. Das scheint ja echt ein schräges Buch gewesen zu sein, dass auf jeden Fall viel Diskussionsstoff geboten hat! ;/ Ich werde wohl nicht drum herum kommen, es auch noch zu lesen. Und hoffentlich können wir bald mal wieder etwas zusammen lesen!

    Liebe Grüße
    Jessi

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    1. Hallo Jessi,

      das Buch ist sogar für Lansdale ziemlich schräg und sehr bizarr. Und ja, Diskussionsstoff bietet es mehr als genug. Du kannst es ja später lesen und bei der Leserunde kommentieren. Ich folge zumindest der LR weiterhin via Mail - daher könnte man es ein Stück weit gemeinsam erleben.

      Liebe Grüße,
      Nicole

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