Dienstag, 24. November 2020

Rezension: Marilyn und ich - Ji-min Lee

Marilyn und ich - Ji-min Lee
© Harper Collins
Marilyn und ich
| Ji-min Lee |

Verlag: Harper Collins 2020
Seiten: 240 
ISBN: 9783959675499

MEINE BEWERTUNG 

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Lethargische Nachkriegszeit

Korea, 1954. Die Waffenruhe ist fragil, das Land, die Koreaner und die Alliierten sind vom Krieg gezeichnet. Umso erstaunter ist die einheimische Übersetzerin Alice, dass die lebenshungrige Marilyn Monroe vier Tage lang nach Korea kommt und von ihr begleitet wird.

"Marilyn und ich" ist ein zeitgeschichtlicher Roman, der sich mit der Nachkriegszeit in Südkorea auseinandersetzt und besonders den Frauen eine Stimme gibt. 

Mit Korea und dem Krieg der Amerikaner habe ich mich bisher nie auseinandergesetzt. Für mich war dieses Thema eine Episode in Filmen, der Rahmen einer Geschichte über Soldaten oder furchtbarer Kriegsschauplatz, den man aus Dokumentationen kennt.

Umso interessierter war ich, vom dortigen Krieg und der Zeit danach direkt von einer koreanischen Autorin zu erfahren. Thematisch arbeitet Ji-min Lee das Schicksal einer Generation auf, die sich aus Schutt und Asche erhoben, und die Lebenslust nach Tod und Zerstörung neu entdeckt.

Dabei konzentriert sich die Autorin auf die jungen Frauen, die den Staub der Vernichtung abschütteln, sich das Blut aus dem Gesicht wischen, den Geruch von Napalm aus der Nase schnauben, und voller Tatendrang in ein neues Leben aufbrechen.

Protagonistin Alice alias Aesun dient als Stellvertreterin ihrer Generation. Sie hat den Krieg und seine Abscheulichkeiten überlebt, jedoch ist sie seelisch in dieser Zeit verhaftet. Sie arbeitet bei den amerikanischen Alliierten als Übersetzerin und hat sich ansonsten komplett von ihrer Umwelt abgekapselt. Sie lässt nichts an sich heran, schaut verstört in die Kriegszeit zurück, und hält sich dermaßen daran fest, dass es sogar körperliche Auswirkungen auf sie hat. 

In dieses, von Krieg, Dramen und Tragik, geschüttelte Ambiente tritt engelsgleich der strahlende Stern Marilyn Monroe ein. Obwohl der Filmstar auf eine rahmengebende Nebenrolle beschränkt ist, fängt Autorin Ji-min Lee die vor Begeisterung brodelnde Atmosphäre dieser Vier-Tages-Tournee ein. 

Ich habe Marilyn Monroe als tragischen Gegenpart zu der koreanischen Alice empfunden. Während sich die Übersetzerin in seelische Lethargie ergibt, verkörpert die berühmte Schauspielerin pure Lebensfreude. Sobald Marilyn erscheint, johlen die Massen, verschwindet der Kriegsfrust, und die absolute Lust am Leben nimmt überhand.

Gleichzeitig zeigt Ji-min Lee, dass Marilyn ebenfalls eine unselige Figur und gefangen in bizarren Lebensumständen ist. Obwohl sie frisch vermählt und zurzeit ihre Hochzeitsreise erlebt, ist ihr Gatte in Tokio geblieben, während Marilyn einsam und allein Scharen von Männern Feuer unterm Hintern macht. 

Wenngleich der Titel des Romans auf eine freundschaftliche Annäherung zwischen Marilyn und Alice anspielt, ist die Schauspielerin eine Randfigur und gibt lediglich den Rahmen um die Protagonistin vor. Der Leser begleitet die Hauptfigur, wie sie traumatische Beziehungen verarbeitet, sich an einen Strohhalm hält und sich lethargisch ihren Erinnerungen ergibt. 

Demzufolge schildert der Großteil des Romans Rückblicke und Erinnerungen an verdrängte Beziehungen, grausige Ereignisse und das persönliche Erleben im Kriegsgeschehen.

Im Nachwort geht die Autorin darauf ein, warum sie dieses Buch geschrieben hat. Sie erzählt, dass sie ein Foto von Marilyn Monroe und einer koreanischen Übersetzerin sah. Daraufhin war es ihr ein Anliegen, den jungen Menschen dieser Zeit eine Stimme zu geben. Das hat sie meiner Meinung nach exzellent umgesetzt. 

Mir hat diese Reise nach Südkorea viele Facetten des Krieges und der Zeit danach gezeigt. Ich bin in die Versuchung des Vergessens genauso geraten, wie mich die alles überlagernde Lebenslust angesteckt hat, was das Einzige ist, was Menschen nach einem Krieg auf den Beinen hält. 

Wer sich trotz der minimalistischen Rolle von Marilyn Monroe auf dieses fremde Land einlassen will, das Kriegstrauma überwinden und das Erleben einer Generation, welche die Zerstörung unter Vergessen begräbt, erfahren möchte, hat mit "Marilyn und ich" einen treffenden Roman in der Hand.
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MEINE BEWERTUNG

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Marilyn und ich - Ji-min Lee

Ich bedanke mich beim Verlag für das Rezensionsexemplar.

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5 Kommentare:

  1. Eine ansprechende Rezension zu einem mir bis eben unbekannten Buch, liebe Nicole.
    Das Thema Korea Krieg hatte ich erst im September recht umfangreich mit dem Bub für den Englischkurs. Dicke Bücher und mehrere Dokumentationen haben das Ausmaß erst so recht erkennen lassen.
    Das Buch vermerkt. Danke für die Vorstellung.
    Liebst, Hibi

    (Bevor ich es vergesse: habe mir aus der Bib Deadwood Dick mitgebracht. Das andere Lansdale Buch hatten sie nicht.)

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    1. Hallo Hibi,

      das freut mich sehr. :) Wirklich? Ihr habt euch mit dem Korea-Krieg beschäftigt? War das frewillig oder wurde das Thema vorgegeben? Jedenfalls finde ich das Thema insgesamt interessant. Zumindest, dass man hier in dem Buch etwas von der koreanischen Sicht erfährt. Aber auch der Einsatz von Napalm, etc. wird erwähnt. Das war alles schon sehr grausig.

      Wegen "Deadwood Dick" habe ich dir heute in der Mittagspause geschrieben. :D

      Liebe Grüße,
      Nicole

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    2. Dies hat er/haben wir und auch noch freiwillig. Da er die Facharbeiten in Mathe, Physik und Sozialwissenschaften schreibt, hat er sich für einen zusätzlichen Vortrag in Englisch entschieden, um die Punkte in dem Kurs zu pushen.

      Zum Rest beantworte ich deine Mail. War mal wieder lange nicht online. ;-)

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  2. Hallo liebe Nicole

    Dir ist da wirklich eine tolle Rezension gelungen und das (mir ebenfalls bis vorhin noch unbekannte) Buch behandelt ein Thema, das viel mehr in die Öffentlichkeit gehört. Schade aber, dass Marilyn Monro (die ja schliesslich der grosse Aufhänger ist), zur Randfigur verkommt.

    Trotzdem setze ich mir das Buch einmal auf die Wunschliste, deine Rezension hat mich einfach überzeugt.

    Alles Liebe
    Livia

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    1. Hallo Livia,

      vielen Dank! Eigentlich finde ich das mit Marilyn Monroe sehr gut gemacht, aber in den Titel hätte ich sie - wie du so schön sagst - als Aufhänger nicht gepackt. Der Titel weckt bestimmt falsche Erwartungen an die Geschichte. Doch der Kontrast zwischen Marilyn und Alice, genau wie die Gemeinsamkeiten, ist sehr schön herausgearbeitet und regt zum Nachdenken an.

      Liebe Grüße,
      Nicole

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