Dienstag, 8. November 2022

Rezension: Halloween - Stewart O'Nan

Halloween - Stewart O'Nan
© Rowohlt
Halloween
| Stewart O'Nan |

Verlag: Rowohlt 2005
Seiten: 256 
ISBN: 978-3499240027

MEINE BEWERTUNG 
- ★★★
 - 




Geisterhaftes Drama

Vor einem Jahr an Halloween sind drei Jugendliche bei einem Autounfall verunglückt. Als Geister kehren sie zu den Überlebenden zurück und merken, dass diese seither innerlich gestorben sind. Außerdem bahnt sich etwas Furchtbares an.

„Halloween“ von Stewart O’Nan habe ich gemeinsam mit anderen Bücherbegeisterten Ende Oktober gelesen. Titel und Cover versprechen die perfekte Schauerlektüre für diese Jahreszeit und wir waren allesamt ernüchtert, weil der Roman in eine andere Richtung geht.

Weder Klappentext noch Titel tragen die Schuld, weil beides passend zur Geschichte ist. Das Geschehen spielt an Halloween und im Mittelpunkt der Handlung steht der Autounfall der Jugendlichen, der sich zum ersten Mal jährt. Doch es ist weder ein Horror-Roman noch eine Gespenstergeschichte, sondern es handelt sich um ein Gegenwartsdrama, welches in einer amerikanischen Kleinstadt spielt. 

Eingangs beschreibt Stewart O’Nan die Halloween-Stimmung und hüllt den Leser mit herbstlichem Blätterrauschen, kühlen Temperaturen und dem Geruch von modrigem Laub ein. Sofort war ich gefangen in der Atmosphäre und wartete gebannt, wie es weitergeht. 

Dennoch brauchte ich meine Zeit, bis ich mich im Roman orientieren konnte. Obwohl ich anfangs behaupte, dass es keine Schauergeschichte ist, wird diese von den drei toten Jugendlichen erzählt. Toe, Danielle und Marco führen als Gespenster durch die Geschichte. Sie sehen dem aktuellen Treiben zu, schauen zurück und ahnen, was kommen wird. Dabei greift Stewart O’Nan zu einem fliegenden Erzählstil, denn die Geister sind immer da, wo gerade an sie gedacht wird.

Diesen Gedanken habe ich als sehr schön empfunden. Es ist eine tröstliche Vorstellung, dass unsere Verstorbenen als Geister bei uns sind, wenn wir uns an sie erinnern. 

Trotzdem war der Stil zu Beginn anstrengend, weil mir dadurch die Orientierung schwer fiel, bis ich das System dahinter durchschaut hatte. 

In diesem Drama wird der Unfall aufgearbeitet, nachgestellt und die beteiligten Personen rücken in den Fokus. Neben den drei jugendlichen Geistern saßen ihre Freunde Tim und Kyle im Wagen, die - wenn teilweise auf bedrückende Weise - mit ihrem Leben davon gekommen sind. Außerdem spielt der städtische Cop Brooks eine tragende Rolle, weil er in beruflicher Funktion am Unfallort gewesen ist. 

Es ist ein melancholischer Roman, der zwischen Vergangenheit und Gegenwart schwenkt. Beleuchtet werden die direkt Beteiligten genauso wie die Hinterbliebenen. Durch den tödlichen Unfall hat sich das Leben vieler Menschen von einer Minute auf die andere auf erschreckende Weise geändert, und so hängt jeder seinen Gedanken und Erinnerungen nach.

Meinem Gefühl nach hat die Grundthematik mit Halloween als Rahmen hervorragend gepasst. Einerseits sind es die jugendlichen Geister, die genau vor einem Jahr ihr Leben ließen, andrerseits zeigt der Autor die Überlebenden, welche seither wie lebendige Tote durch den Alltag gehen.

„Es kommt ihm länger vor als ein Jahr. Woran liegt das? Es ist Montag, dann Sonntag, und das Ganze fängt wieder von vorne an.“ (S. 86)

Ich mag stimmungsvolle Dramen, die in amerikanischen Kleinstädten angesiedelt sind. Zwar war ich erstaunt, dass es keine „echte“ Halloween-Geschichte ist, aber ich habe diesen dramatischen Roman um den Unfallhergang dieser Jugendlichen gern gelesen.

Außerdem war ich vom poetischen Stil und dem melancholischen Blick äußerst angetan. Stewart O’Nan schreibt in anmutiger Sprache, stellt zarte Querverweise, übt ein bisschen Gesellschaftskritik und manches Mal gibt es einen schmerzhaften Seitenhieb. 

Weniger mochte ich das Ende, weil es geradlinig kommt und bis auf eine kleine Wendung alles eintritt, wie es vorausgesehen wird. Zudem gibt es zwei Figuren, die für Trubel und Anspannung sorgen, aber nach einem kurzen Gastauftritt in der Schwärze der Nacht verschwinden. Deren Sinn ergibt sich mir auch nach der Lektüre nicht. 

Wichtig ist, dass man sich keine Horror-Story erwartet, weil es ein beklemmender, intensiver Roman ist, der zeitlich an Halloween angesetzt ist. Für mich war es ein fesselndes, bedachtes und melancholisches Drama, welches an die Seiten bannt, und ich gerne gelesen habe.

______________________
MEINE BEWERTUNG
★★★★

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7 Kommentare:

  1. Hi Nicole,

    meine Rezension dauert noch etwas, ist aber immerhin schon getippt :)
    Du hast das mal wieder sehr schön in Worte gefasst und es freut mich, dass du dich nach anfänglicher Umorientierung auf die Entwicklungen einstellen konntest.
    Das mit den Geistern am Anfang hat mich zum Glück nicht verwirrt, aber ich konnte mich mit dem Verlauf nicht so ganz anfreunden. Irgendwie schon mitfühlen, aber irgendwie lief es auch an mir vorbei...

    Übrigens, stimmt dein Satz am Anfang - der irritiert mich ^^
    "Als Geister kehren sie zu den Überlebenden zurück und merken, dass diese längst tot sind. "
    Das klingt so als wären die Überlebenden tot?

    Liebste Grüße, Aleshanee

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    1. Hallo Aleshanee,

      den Einstieg habe ich nun geändert. Das hat sich wirklich komisch gelesen. XD Danke für den Hinweis!

      Am Anfang habe ich mir echt schwer getan, aber dann hat es für mich gepasst. Ich mag melancholische Dramen ab und zu recht gern und konnte mich recht gut darauf einstellen. Ich glaube sogar, dass es beabsichtigt war, dass die Geschichte eher an einen vorbei läuft. Genau wie das Leben, dass man manchmal nicht zu greifen bekommt. Vielleicht interpretiere ich jetzt zu viel hinein. :D

      Liebe Grüße
      Nicole

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    2. Ich denke, du interpretierst das genau richtig. Aber ich hab einfach keine so große Bindung dazu gefunden.

      Zwecks interpretieren.... als ich die Rezension zu Todesmarsch geschrieben habe, ist mir dann tatsächlich eingefallen, was ich mir aus dieser Geschichte ziehe. Während dem Hören hatte ich nämlich keine so richtige Botschaft rausgelesen. Die sind ja bei King trotzdem immer dabei
      ... wie wir unseren Weg gehen. Dabei ist nicht wichtig ob wir ankommen, sondern ob wir ihn "mit reinem Gewissen" gehen.
      So hab ich das in der Rezi geschrieben.

      Ich finds eh total interessant, was "hinter" den Geschichten steckt. Viele lesen ja einfach so zur Unterhaltung, mach ich manchmal auch, aber ich suche schon immer nach Botschaften, die sind eigentlich immer zu finden. Im kleinen und im großen.

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    3. Manchmal glaube ich, dass es auch umgekehrt ist. Dass wir zu viel interpretieren und ein Autor hat eigentlich nur eine Geschichte geschrieben. XD

      Ich denke aber auch, dass uns die Geschichten etwas mitgeben und sei es nur, dass wir mal auf eine andere Weise die Welt betrachten und uns daraus etwas ziehen. Zu "Todesmarsch" habe ich übrigens eine andere Interpretation, die teile ich dir dann unter deiner Rezension mit. Vorher möchte ich die noch lesen, bin bisher noch nicht dazu gekommen.

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    4. Ich denke schon dass da immer was mitschwingt. Das muss ja vom Autor nicht mal bewusst gewollt sein, aber es stecken ja die Gedanken drin, wie sie die Figuren formen, welche zwischenmenschlichen Interaktionen vorkommen, wie sie die Handlung aufbauen usw. Auch diejenigen die sagen, dass sie nur zur Unterhaltung schreiben, haben Botschaften mit drin, auch wenn sie das nicht explizit wollten. Weißt was ich meine?

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    5. Ja, das ist wahr. Die Autoren packen natürlich immer ihre Weltsicht oder wie sie denken, dass andere die Welt sehen, in die Werke rein. Anders würde es gar nicht gehen, weil sie ansonsten Roboter wären.

      Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass Autoren Zusammenhänge unterstellt werden, die gar nicht da sind. Zum Beispiel, dass jemand eine Dystopie in Anlehnung an den Zweiten Weltkrieg geschrieben hat und damit dies und das sagen will. Gleichzeitig greift natürlich, dass Autoren von der Geschichte inspiriert werden.

      Aber es ist wahr. Wenn ein Autor z.B. einen Thriller über einen Berg schreibt, dann schwingt mit, wie gefährlich der Aufstieg ist, auch wenn es ein Unterhaltsroman ist.

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    6. Ich weiß was du meinst - und ich denke auch du weißt, was ich meine :)

      Klar kann man einiges unterstellen was gar nicht da ist - es ist ja auch meine eigene Wahrnehmung, wie ich etwas lese bzw. was ich da herauslese.

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