Dienstag, 8. Juni 2021

Rezension: Ich will dir nah sein - Sarah Nisi

Ich will dir nah sein - Sarah Nisi
© Penguin Random House
Ich will dir nah sein
| Sarah Nisi |

Verlag: btb 2021
Seiten: 336 
ISBN: 9783442718917

MEINE BEWERTUNG 

 - 



Latente Spannung, eine abstoßende Figur & bedrohliche Atmosphäre

Lester Sharp arbeitet im Fundbüro und ist außerdem sonderbar. Als er seinen neuen Nachbarin Erin begegnet, weiß er, dass es Schicksal ist. Er will ihr nah sein. Näher als es gut für Erin ist.

„Ich will dir nah sein“ ist ein feiner Psychothriller, der äußerst geschickt mit den Elementen des Genres spielt. 

Lester arbeitet im Fundbüro und liebt seinen Job. Hier katalogisiert er verlorene Gegenstände und ist von ihnen fasziniert. Egal ob es Schlüssel, Handys oder medizinische Gerätschaften sind, er entwickelt eine eigenartige Beziehung dazu, und er ist eindeutig ein Sonderling. Darüber hinaus ist Lester nicht nur in der Arbeit sonderbar, sondern er tut sich schwer, zwischenmenschliche Beziehungen richtig zu interpretieren. Ein freundliches Lächeln da, ermutigt ihn, und ein verzweifelt ausgestoßenes „Nein“ spornt ihn mehr an. Erst recht, wenn er denkt, dass es - wie bei der neuen Nachbarin Erin - Schicksal ist. 

Bei dem Buch hat mich der Klappentext neugierig gemacht. Mein erster Gedanke war, dass es nach einem guten Thriller klingt und dieses Versprechen hat der Roman gehalten. 

Als Leser taucht man in Lesters gestörte Wahrnehmung ein. Viele Passagen werden aus seiner Perspektive erzählt und dementsprechend ist man bei diesen verkehrten Gedankengängen live dabei. 

Anfangs ist es unschuldig. Lester wirkt wie ein merkwürdiger Kauz, der sich zu intensiv für die verlorenen Gegenstände in seinem Job interessiert. Doch je länger man ihn begleitet, desto tiefer taucht man in die wirren Überlegungen ein, und ahnt, dass es erst die Spitze des Eisbergs ist.

Lester hat mich total abgestoßen. Ich habe ihn als extrem widerliche Person empfunden, bei dessen räumlicher Nähe man körperlich auf den Ekel reagiert. Seine Wahrnehmung ist absolut verdreht, er interpretiert kleinste Gesten falsch und wird dadurch zu einer Bedrohung, der man nicht im Treppenhaus begegnen will. 

Gleichzeitig hatte ich Mitleid mit ihm, weil in seiner Illusion alles seine Richtigkeit hat. Er handelt so, wie er denkt, dass es angebracht ist, und begreift nur am Rande, dass er regelmäßig Grenzen übertritt. 

Die neue Nachbarin Erin hat es ihm angetan. Nach ihrem Einzug erlebt man Lester voll befremdlichen Elan und manche Szenen haben etwas Beängstigendes. Ich bin mir relativ sicher, dass es solche Menschen wie ihn wirklich gibt, was mir schon arg zu denken gibt. 

Zudem erhält man Einblick in Erins Leben, was die Handlung zusätzlich aufpeppt und ihr zum Ende hin eine bizarre Wendung verleiht. 

Ich habe den Thriller gebannt gelesen, weil Lesters Ekelfaktor und seine abnormalen Gedankengänge fesselnd sind. Vom merkwürdigen Sonderling wandelt er sich zur - meiner Ansicht nach - realistischen Bedrohung, was dem Thriller ordentlich Spannung verleiht.

Der Handlungsaufbau ist einem Psychothriller entsprechend. Es ist eher ruhig und die Spannung baut sich unterschwellig auf. Erins Leben liegt in Lesters Hand, obwohl die Nachbarin nicht ahnt, welcher unscheinbaren Bedrohung sie ausgesetzt ist. Zum Schluss wartet die Autorin mit einem gut konstruierten, überraschenden Ende auf, das mir gefallen hat.

„Ich will dir nah sein“ ist ein fesselnder Psychothriller, der meiner Meinung nach mit latenter Spannung, einer abstoßenden Figur und bedrohlicher Atmosphäre an die Seiten bannt.

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MEINE BEWERTUNG
★★★★

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4 Kommentare:

  1. Liebe Nicole,
    ich habe das Buch auch auf der Wunschliste und habe bisher noch gezögert, weil ich sehr unterschiedliche meinungen dazu gehört habe. Deine Rezi hört sich jetzt aber wieder sehr gut an, auch wenn es kein 5 Sterne Buch ist ;)
    Liebe Grüße
    Martina

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    1. Hallo Martina,

      mir hat's gefallen. Es ist zwar ruhig, aber sehr, sehr spannend. Und ich fand es zum Großteil realistisch. Bei Thriller vergebe ich selten 5 Sterne. Dafür muss es schon ein Wow-Buch sein. :D

      Liebe Grüße,
      Nicole

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  2. Liebe Nicole

    Das Buch steht bei mir auch noch auf der Wunschliste und ich werde hoffentlich bald dafür Platz haben. Es scheint, als wären die Figuren wirklich toll ausgearbeitet.

    Da kommt mir übrigens etwas in den Sinn: ich habe mal einen Tatort gesehen, bei dem sich ein Mann in das Leben einer Frau eingeschlichen hat. Er hat bei ihr gewohnt, ihre Sachen benutzt, bei ihr geschlafen und, und, und, ohne, dass sie es mitbekommen hat, aber etwas ist ihr natürlich immer aufgefallen... Er hat sich dafür oft eher labile, alleinstehende Frauen ausgewählt, denen die Polizei auch nicht geglaubt hat, bis eine Polizistin zu seinem Ziel wurde. Das hat mich fasziniert und ich habe recherchiert: solche Fälle gab es wirklich... Und das ist extrem verstörend und beängstigend, finde ich. Das Buch scheint ein wenig in eine ähnliche Richtung zu gehen, also wird mich also sicher unendlich gruseln, aber auch fesseln, also "freue" ich mich schon darauf ;-)

    Alles Liebe
    Livia

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    1. Hallo Livia,

      es geht genau in die Richung, die du hier beschreibst. :D Ich fand das so gruselig obwohl es an und für sich keine direkte Bedrohung ist. Wenn ich mir vorstelle, dass ein fremder Mensch während meiner Abwesenheit durch meine Wohnung streift, meine Sachen berührt, meinen Kühlschrank inspiziert - da stellt sich bei mir alles auf.

      Ich kann mir gut vorstellen, dass dir das Buch gefällt.

      Liebe Grüße,
      Nicole

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